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Abgründe und ein Abend, an dem nur Eines stimmte: die Quote

Foto: Frank Berger

Der Abend des 8. Dezember 2022 wird mir lange in Erinnerung bleiben. Ich hatte meine Mitarbeiterin im Landtag und meine Mitarbeiter im Bürgerbüro zu einem vorweihnachtlichen Ausflug nach Berlin eingeladen. Nach einem gemeinsamen Abendessen sollte es einen kulturell-politischen „Nachtisch“ geben. Der Veranstaltungskalender der Vertretung des Freistaates Sachsen beim Bund hatte angekündigt: Uwe Tellkamp liest aus seinem neuen Roman „Der Schlaf in den Uhren“. Danach findet eine Diskussion mit Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) statt.

Als wir gegen 18.45 Uhr eintrafen, war der Saal mit seinen weit über 100 Plätzen bereits gut gefüllt. Staatssekretär Conrad Clemens, der Bevollmächtigte des Freistaates beim Bund, begrüßte die Gäste.

Uwe Tellkamp las zwei Kapitel aus besagtem Buch. Dabei stand er hinter einem Pult, an dessen Vorderseite das sächsische Wappen prangte. Im Anschluss begab er sich zusammen mit dem Ministerpräsidenten und Martin Machowecz, dem Moderator des Abends, auf die Bühne.

In wenigen Minuten wurde deutlich, dass die Atmosphäre dieser inszenierten Begegnung die stärkere und nachhaltigere Wirkung hinterlassen würde als die gesprochenen Worte. Michael Kretschmer und Uwe Tellkamp bekundeten durch all ihre Blicke und Gesten persönliches Einvernehmen. Diese beiden Männer trafen sich offenbar nicht zum ersten Mal. Ich fragte mich, ob sie sich über die Intention ihrer öffentlichen Begegnung an prominentem Ort verständigt und vereinbart hatten.

Uwe Tellkamp und Ministerpräsident Michael Kretschmer Foto: Matthias Meisner

Was Uwe Tellkamp dann zum Besten gab, war und bleibt bemerkenswert. Er konstatierte eine „Demokratie im Spätstadium“. Er erklärte – vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der täglichen Berichte über Tote, Verletzte und über zerstörte Strom- und Wärmekraftwerke – , dass er keine Lust habe, für den Frieden zu frieren. Er bezweifelte die am Vortag aufgeflogene Verschwörung von Reichsbürgern und Staatsfeinden gegen die Bundesrepublik. Wörtlich: „Welchen Bären will man uns da aufbinden?“ und „Glauben Sie das?“ fragte er in Richtung des Ministerpräsidenten. Eine große Gefahr für die staatliche Ordnung sah er hingegen in den Aktionen der Klimaaktivisten und in der behaupteten Tatsache, dass wir von NGOs (Nichtregierungsorganisationen) – wie zum Beispiel der Amadeu-Antonio-Stiftung – regiert würden.

Michael Kretschmers Widersprüche blieben manchmal aus, an einigen Stellen erfolgten sie lauwarm. Der Ministerpräsident war erkennbar interessiert, die Gemeinsamkeiten mit Herrn Tellkamp herauszustellen und die Unterschiede klein zu reden.

Natürlich ist es mir nicht möglich, die Hintergründe dieser Veranstaltung zu kennen und ihre Wirkung in Gänze zu beurteilen. Einiges spricht dafür, diese nicht zu überschätzen, anderes allerdings dafür, die mangelnde Distanz des obersten Vertreters Sachsens zu einem Autor zu hinterfragen, dessen Gedankenwelt anschlussfähig ist zur Gedankenwelt derer, die sich am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums tummeln.

Susanne Dagen, Buchhändlerin, im Gespräch mit Ministerpräsident Kretschmer Foto: Matthias Meisner

Was wird hier gespielt?

Welches politische Signal sendet Michael Kretschmer?

Wohin will er Sachsens CDU führen?

Ich habe an diesem Abend in Abgründe geschaut, von denen ich nur hoffen kann, dass sie sich möglichst schnell schließen. Ich halte fest, dass mir in dieser inszenierten Begegnung nur Eines wahrhaftig und stimmig schien: die Quote der Aufmerksamkeit; die Quote für Herrn Tellkamp, die Quote für Michael Kretschmer und die Quote für den Veranstaltungsbetrieb der Landesvertretung.  

Frank Richter

Meißen am 11.12.2022

Presseecho:

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