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Gefängnis Zeithain öffnet für einen Tag die Türen

Abb.: Die Pforte der Justizvollzugsanstalt Zeihain Foto: Rüdiger Stumpf

An dem sonnigen Samstag im September stehen bereits vor 9 Uhr die ersten 25 Besucher vor den Toren der Justizvollzugsanstalt (JVA) Zeithain bei Riesa. Es ist Tag der offenen Tür im Knast. Jede volle Stunde führen Mitarbeiter die Interessierten durch den Gefängniskomplex. Alle fünf Führungen an diesem 10. September sind ausgebucht. 

Nachdem der Besucher das große Stahltor passiert hat, tauscht er seinen Personalausweis gegen eine Gästekarte. Seine Tasche, Kamera und Handy muss der Besucher ins Schließfach legen. Justizbeamte klopfen die Hosenbeine ab und fahren mit einem Metalldetektor über die Kleidung. Dann öffnet sich das Schleusentor zum Gefängnishof.

Betonierte Wege, ein Sportplatz in der Mitte, dahinter ein Plattenbau, Haus A. Die anderen zwei Gefängnishäuser B und C sind jeweils mit 4,50 Meter hohen Stahlzäunen mit Stacheldrahtrolle voneinander getrennt. Vor der Außenmauer steht derselbe Zaun. Aus den vergitterten Fenstern grüßen die Strafgefangenen die Gäste. Insgesamt sitzen derzeit rund 280 Männer hier ein. Neben den Beamten sind sechs Psychologen, sechs Sozialarbeiter, fünf Kunsttherapeuten und ein Gartentherapeut für sie da. 

Wenn der Gefangene der neue Nachbar wird

„Wissen Sie, was die wichtigste Aufgabe aller Mitarbeiter ist?“, fragt der junge Anstaltsleiter Oliver Schmidt zur Begrüßung in die Runde. „Wir kümmern uns um die Resozialisierung der Gefangenen“, beantwortet er selbst die Frage. „Denn schon morgen kann einer der Insassen ihr Nachbar sein“, sagt der Leiter, der zuvor Staatsanwalt war. 

Dann führt Nordis Schwäbe mit großem Schlüsselbund und Funkgerät um die Schulter gehenkt durch die Tore, Gebäude und Flure. Eigentlich überwacht sie alle Bau- und Sanierungsarbeiten an den Gefängnisgebäuden. Aktuell hat sie alle Hände mit den Bauarbeiten von Haus B zu tun. „6 Millionen Euro fließen dort hinein, im Frühjahr nächsten Jahres wird es, wenn alles gut geht, fertig,“ sagt sie. Sie zeigt auf ihr Büro in der ersten Etage des Nebengebäudes. Auch ihre Bürofenster sind vergittert. 

Wettkampf: Gefangene messen sich bei Langstreckenlauf 

Stolz ist Frau Schwäbe auf den guten Zustand der Turnhalle, deren Bau sie begleitet hat. Vor 17 Jahren wurde die Halle eingeweiht. Eben sind noch sechs Tischtennisplatten aufgebaut. Am Vortag hatten die Gefangenen ein Turnier ausgetragen. Ben Heinrich, der junge Justizbeamte für Sport und Freizeit, bereitet die Übungsprogramme vor und beaufsichtigt Volleyball- und Fußballgruppe sowie den Therapiesport. Im Kraftraum stehen Stepper und etliche Geräte für den Muskelaufbau bereit. „Der Kraftraum ist sehr beliebt“, sagt Heinrich. Er sorgt aber dafür, dass die Häftlinge nicht nur an den Geräten pumpen sondern auch Ausdauer- und Turnübungen machen. „In zwei Wochen haben wir Sportfest mit 3000-Meter-Lauf“, erzählt Heinrich. Jeder Gefangene darf mitmachen, wenn sein Antrag dafür von den Beamten bewilligt ist.

Vorbei am hoch eingezäunten Gemüsegarten, den die Gefangenen bebauen, geht die Besuchergruppe zu den Werkstätten. Manuela Schindler, Leiterin der Bildungsstätte, zeigt die nach frischen Holzspähnen riechende Tischlerei. An den Werkbänken erlernen zehn Häftlinge den Beruf des Tischlers. Auch im Metallbau und als Baumaschinenführer können sich Gefangene ausbilden lassen. Sprachkurse gibt es außerdem.

Vater näht für seine Tochter ein Kleid 

Musikmachen, Nähen, Stricken, Malen – all das können Gefangene im eigens eingerichteten Kunsttherapie-Haus ausprobieren. Bilder hängen an den Wänden, im Musikraum sehen Schlagzeug und Elektropiano bereit, auf dem großen Tisch im Nähraum ziehen Männer Nadel und Faden durch Stoffe. „Die Gefangenen nähen hier Maskottchen und kleine Segelboote, die wir an das Kinderheim im nahen Dorf Walda schicken“, sagt Kunsttherapeutin Astrid Großer. Wenn die Kinder das Heim verlassen, bekommen sie die Stofffiguren als Geschenk. 

„Koloss von Zeithain“ heißt die Skulptur, die Gefangene geschaffen haben.
Foto: Rüdiger Stumpf

Eben erst zum Schulanfang hat der Insasse Eric Fischer* für seine Tochter ein Sommerkleid in der Kunsttherapie genäht. Das Kleid ihres Vaters hat sie zur Schuleinführung mit großer Freude getragen, berichtet Frau Großer. Das kreative Arbeiten soll die Gefangenen befähigen, in Freiheit Lösungen zu finden, die zum Ziel führen und nicht auf halber Strecke aufzugeben. „Diese Arbeit schult das Wahrnehmen der eigenen Selbstwirksamkeit“, sagt die Therapeutin.

Suchttherapie hinter Gittern 

Das Gefängnis Zeithain wurde in DDR-Zeiten als typischer Plattenbau errichtet. 1977 zogen die ersten Häftlinge ein, die etwa im benachbarten Chemiewerk Nünchritz arbeiteten. Heute ist es das einzige Gefängnis in Sachsen, das drogen- oder alkoholsüchtigen Gefangenen eine Langzeittherapie ermöglicht. Von den 16 Therapie-Plätzen sind derzeit sieben belegt. Die Therapie unter Anleitung einer Psychologin dauert neun Monate und ist begehrt. Auf eine Suchttherapie warten im Freistaat viele Gefangene. Das sächsische Justizministerium will künftig auch weiter Haftanstalten mit Suchttherapie-Plätzen ausstatten.

Offener Strafvollzug – Die  Bewohner des Freigängerhauses im Gefängnis Zeithain von links: Mario T., Ronny Z., Reik Z., Sebastian H. und Thommy F.
Foto: Rüdiger Stumpf

Mit der Weihnachtsamnestie in die Freiheit

Frau Schwäbe entlässt die Besucher nach anderthalb Stunden zurück in die Freiheit. Draußen vor den Mauern grasen Schafe auf der Wiese, Holzkäfige dienen als Station für Igel zum Überwintern und nebenan ist die Pilgerstation auf dem sächsischen Jakobsweg, den die gelbe Muschel auf blauem Grund kennzeichnet. Um diese Sehenswürdigkeiten kümmern sich Freigänger wie Mario T. Der 34-jährige wird schon im November dieses Jahres freikommen. „Ich bekomme die Weihnachtamnestie“, freut sich T. So lange wohnt er mit sechs weiteren Gefangenen im offenen Vollzug. Dreimal in der Woche dürfen sie für zwei Stunden das Freigängerhaus verlassen. Wenn sie aus dem Ausgang zurückkehren, müssen sie sich einem Alkoholtest unterziehen. Schlägt der positiv an, geht es wieder zurück in die geschlossene Abteilung. 

Haben es die Gefangenen nicht paradiesisch in Zeithainer Knast? „Nein“, sagt Anstaltsleiter Schmidt. Der ganze Tagesablauf ist immer der gleiche: Frühsport, Mahlzeiten, Arbeiten, am Nachmittag eine Stunde „Aufschluss“. Dann dürfen die Gefangen auf dem Hof spazieren, Volleyball oder Fußball spielen. „Am Abend werden die Räume verriegelt und jeder Gefangene ist mit sich die ganze Nacht allein“, erklärt Schmidt. Das Personal aber geht nach Feierabend nachhause. 
                                                                                                                       

Rüdiger Stumpf

*Name von der Redaktion geändert

Die Kunsttherapeuten der JVA Zeithain bitten um Sachspenden wie Wolle, Stoffe oder Leinwände.  
Der Verein Kunst im Gefängnis e.V. informiert darüber im Internet: www.kunstimgefaengnis.de
Die Hausanschrift:  
Justizvollzugsanstalt Zeithain
Industriestraße E2
01612 Glaubitz
Im Internet: www.justiz.sachsen.de/jvazh