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Kunst: Der Widerspenstigen Zähmung

Frank Richter

Gedanken im Nachgang zu einer Dialog-Veranstaltung am 26. Februar 2020 im Theater Freiberg

Am Mittwoch, d. 26. Februar 2020 fand ein gut besuchtes Dialog-Forum im Theater Freiberg statt. Voraus gegangen war ein Konflikt, der sich – soweit ich es richtig nachvollziehe – an der Frage entzündet hatte, ob, wann und unter welchen Umständen es am Freiberger Theater öffentliche Diskussionen zu aktuellen politischen Auseinandersetzungen geben darf. Solange es Theater gibt, ist dieses politisch – mal mehr, mal weniger. Da es sich  um einen öffentlichen Ort handelt, der per se für die Öffentlichkeit bestimmt ist, kann das nicht anders sein. Seit der Entstehung des Theaters gab es Versuche seitens der Mächtigen, das Theater politisch zu beeinflussen Das Spannungsverhältnis zwischen Macht und Kunst ist nicht auflösbar. Das Dialog-Forum am 26.Februar 2020 hat dieses Spannungsverhältnis im Konkreten dargestellt und illustriert. Bemerkenswert war unter anderem das Bekenntnis von Oberbürgermeister Sven Krüger zur Freiheit der Kunst und zur politischen Wertschätzung des traditionsreichen Hauses. In einigem zeitlichen Abstand zu diesem Abend, an dem ich die Ehre hatte, aktiv mitzuwirken, lege ich hier einige grundsätzliche Überlegungen vor. 

Dass Künstler die Freiheit der Kunst verteidigen, sollte niemanden wundern. Dass die Unberechenbarkeit und Widerspenstigkeit derselben die Mächtigen zu allen Zeiten und an allen Orten dieser Welt schmerzen wie ein Dorn im Auge, ist ebenfalls nicht neu. Den Herrschenden, deren legitime Aufgabe darin besteht, Ordnung zu schaffen und diese zu erhalten, erscheint jede Abweichung von derselben problematisch. Ich lasse die wichtige Frage, ob es sich um eine auf Gerechtigkeit oder eine auf Willkür gründende Ordnung handelt, an dieser Stelle auf sich beruhen. (Nur an dieser Stelle!) Ordnung muss sein, in jedem Fall, sonst wäre es keine Ordnung. Ordnung, die sich selbst infrage stellt, gerät ins Wanken. So jedenfalls befürchten es die Kleingeister und Ordnungsfanatiker unter den Mächtigen. Manche – eine deutsche Besonderheit – wähnen sich dabei auch noch als Vertreter eines Volkes von Dichtern und Denkern und somit als Verkörperung eines höheren Prinzips, an dem sie partizipieren und von dem sie meinen, es unbedingt exekutieren zu müssen. In ihren Augen sollte Kunst eigentlich nur eines: ihr Weltbild bestätigen. In ihren Augen tut Kunst hingegen das Gegenteil: sie stört das Weltbild. Sie passt sich nicht an. Sie ist unnütz. Sie ordnet sich nicht ein und nicht unter. Ganz egal, ob man ihre Protagonisten – die Künstler – mit Aufträgen zuschüttet oder ihnen dieselben entzieht; wenn und solange sie Künstler sind, beugen sie sich nicht. Im ungefährlichsten Fall zeigen sie der gesetzten Ordnung die kalte Schulter, indem sie einfach nur „ihr Ding“ machen, auf Fördermittel verzichten und jedwede Kollision mit den Hütern der Ordnung vermeiden. Mit den Blumenkindern unter ihnen – in den USA nannte man sie Hippies – konnte man leben. Im gefährlichsten Fall stellen sie die gesetzte Ordnung infrage, delegitimieren die Ideologie, ziehen deren Repräsentanten ins Lächerliche oder greifen diese an. Im schlimmsten aller Fälle allerdings – aus der Sicht des Verteidigers der Kunst betrachtet – passen sich Künstler den Wünschen der Mächtigen derart an, dass sie zu deren Kumpanen verkommen. Dann verraten sie das Wesen der Kunst. Seitdem ich weiß, dass die Nazis den 1944 aufgeführten und durchaus sehenswerten Film „Feuerzangenbowle“, mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle, benutzt haben, die trübe Stimmung an der Heimatfront aufzuheitern, betrachte ich ihn kritisch. Seitdem ich weiß, dass der spätere Thomaskantor Erhard Mauersberger 1939 begann, am „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ mitzuarbeiten, fällt es mir schwer, die großen Choräle der evangelischen Kirchemusik mitzusingen. Gewiss: Künstler sind keine besseren Menschen. Sie sind korrumpierbar wie wir alle. Wir sollten nichts Übermenschliches von ihnen verlangen. Aber: Dass sie ihrer Profession wegen eine besondere Verantwortung tragen und ihnen mit der Kunst eines der zerbrechlichsten und wertvollsten Güter der Menschheit anvertraut ist, muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Warum? Weil die existentielle Tiefe des Menschseins und die Weite der gesellschaftlichen Entwicklung grundsätzlich all das übertreffen, was der menschliche Verstand auszudenken und der politische Ordnungssinn auszugestalten vermögen. Weil der Mensch frei ist und es diese Freiheit zu verteidigen gilt. Und weil das Prinzip der Unantastbarkeit der menschlichen Würde, die zu achten und zu schützen die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist (Grundgesetz Art. 1), auf dieser Freiheit gründet. Hier geht es nicht um Nebensächlichkeiten.

Die Kunst war ein Refugium der Freiheit in den Zeiten des Totalitarismus. Es gab nicht nur die Rühmanns und Mauersbergers. Die Grafikerin, Malerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz verweigerte die geforderte Anpassung und ging ins innere Exil. Der Theologe und Liedtexter Jochen Klepper hielt in Treue zu seiner jüdischen Ehefrau. Als er und sie keinen Ausweg mehr sahen, der nationalsozialistischen Verfolgung zu entkommen, nahmen sie sich in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 gemeinsam das Leben. 

Auch wenn es den einen oder anderen Leser verwundern sollte, ich möchte deutlich machen: Die Kunst ist ein zu verteidigender Ort der Freiheit auch in unseren Zeiten. Die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik, die ich gern als die beste politische Ordnung bezeichne, die Deutschland jemals hatte, ist nicht allein wegen ihres Grundgesetzes sicher. Das Grundgesetz ist Papier. Ich bin in der DDR aufgewachsen. Ich habe gelernt, dass Menschen mit freiem Verstand und offenen Herzen auch in und trotz einer falschen politischen Ordnung Gutes und Vernünftiges zustande bringen. Das heißt im Umkehrschluss, dass uns die beste politische Ordnung – auch die Ordnung der Freiheit – nichts nützt, wenn wir diese nicht annehmen, mit Leben erfüllen und verteidigen. Dass wir eine gute gesellschaftliche Ordnung haben, heißt noch lange nicht, dass wir eine gute Gesellschaft sind. Die Kunst, eine gute Gesellschaft zu sein, besteht unter anderem darin, die Räume zu erhalten, in denen wir uns frei von gedanklicher Enge, Fantasielosigkeit und Alltagszwängen begegnen und austauschen können. Theater sind gewiss keine rechtsfreien Räume. Allerdings sind sie Orte, an denen es möglich sein muss, alles – auch Recht, Gesetz und Vorschriften – zu hinterfragen und zu relativieren. Angst vor Repressalien und negativen Konsequenzen haben an Theatern nichts zu suchen. Theater sorgen dafür, dass die geistigen Grundlagen unserer freiheitlichen Grundordnung gelegt und befestigt werden. Sie sind nicht trotz, sondern wegen ihrer Widerspenstigkeit unverzichtbar. Der Widerspenstigen Zähmung muss misslingen. 

Frank Richter, Mitglied des Sächsischen Landtags  – Kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion                                                                 

27.4.2020