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Staatsführung erklärt Geschichte. 

Hatten wir schon mal. War nicht alles schlecht.

In der Staatskanzlei gibt es viel zu tun. Die Angestellten müssen die zahlreichen Termine des Ministerpräsidenten koordinieren. Er ist landauf landab unterwegs. Zu jedem Thema hat er eine Meinung, auf jede Frage eine Antwort. Die Sachsen dürfen dankbar sein. Seit gestern weiß man, dass sich die Staatsführung nun auch noch um die Sozialdemokratie kümmert.

Auf der Website des CDU-geführten Hauses ist zu lesen, dass Michael Kretschmer eine Veranstaltung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig besucht und mit Brigitte Seebacher, der Witwe Willy Brandts, über die Vergangenheit der Sozialdemokratie spricht. Eines hat die Staatskanzlei jetzt schon festgestellt: „Die damals (von der SPD-geführten Koalition – F.R.) entwickelte Entspannungspolitik mit dem SED-Regime und das Festhalten am Status quo – der deutschen Teilung – erwiesen sich in den Umbrüchen, die auf die Friedliche Revolution folgten, als hinderlich.“

Mag sein, dass Frau Seebacher das so sieht. Andere sehen das anders. Andere meinen, dass der von Willy Brandt und Egon Bahr konzipierte und herbei geführte Wandel durch Annäherung maßgeblich zur Liberalisierung der Verhältnisse in der DDR beigetragen und das Leben von Millionen Menschen verbessert hat. Wieder andere mögen sich die Augen reiben – ich denke an Markus Meckel und die mutigen Gründerinnen und Gründer der SDP in der DDR –, wenn sie lesen, dass ihr Wirken für die Gestaltung des Umbruchs „hinderlich“ war. Dass die West-CDU kein Problem damit hatte, die Blockflöten der Ost-CDU scharenweise aufzunehmen und die Strukturen dieser mehrheitlich systemkonformen Mitläufer-Organisation machtpolitisch auszunutzen, dürfte nach Auffassung der Staatskanzlei förderlich gewesen sein. 

Aber warum diese Beckmesserei? Dass die Auffassung von Frau Seebacher distanzlos auf der Website der Staatskanzlei wiedergegeben wird, ist definitiv eine neue Qualität. Die Staatsführung erklärt uns die Geschichte. Hatten wir schon mal. Es war nicht alles schlecht. Und außerdem: Am kommenden Donnerstag dürfen alle Sozialdemokraten, die sich bisher vom Ministerpräsidenten vernachlässigt fühlten, interessiert lauschen und dankbar sein. Der Vorsitzende der CDU erklärt ihnen, was sie so alles falsch gemacht haben. Dass er auch gleich noch seine Sorge um die Zukunft der Sozialdemokratie erklärt, ist fast schon zu viel des Guten. „Die Schilderungen führen zu der Frage, wie die Sozialdemokratie mit den aktuellen Herausforderungen in Deutschland und Europa umgeht.“, heißt es auf der Seite der Staatskanzlei.  

Frank Richter 

Anmeldung zur Veranstaltung am 2.11.23 um 19.00 Uhr im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig hier