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Warum Asylbewerber vor Angst kaum schlafen können

Pater Alois Andelfinger Foto: Michael Bartsch

Informationsveranstaltung zu Lebenslagen von Asylbewerbern und rigiden Abschiebepraktiken in der Schneeberger Hospitalkirche

Es gibt in Schneeberg nicht nur ausländerfeindliche „Lichtelläufe“ oder Proteste gegen die zum Asylbewerberheim umfunktionierte ehemalige Gebirgsjägerkaserne. Pfarrer Frank Meinel und Frank Richter luden am 3. September zu einem Informations- und Gesprächsabend zur Asyl- und Abschiebungsproblematik in die evangelische Hospitalkirche St. Trinitatis ein. Etwa 30 Mitglieder und Gäste der Gemeinde kamen. Frank Richter ist in der Region kein Unbekannter. Bis 2001 war er fünf Jahre lang Pfarrer in Aue. 

Inspiriert war die Thematik dieses Abends von sehr persönlichen Kontakten Richters in Meißen. Zu seinen „Schützlingen“ zählen die beiden pakistanischen Christen Faisal Jahangir und Khurram Gill. Beide brachte er auch nach Schneeberg mit, damit sie über ihr Schicksal berichten konnten. In einer Phase, da in Sachsen auf besonders rigide Weise Abschiebungen unter anderem nach Afghanistan forciert wurden, erregte der Fall des Katholiken Jahangir besonderes Aufsehen. Seit mehr als 12 Jahren lebt er in Deutschland, ist verheiratet und eine unentbehrliche Kraft in einem Weinböhlaer Restaurant geworden. Dennoch sollte er im März abgeschoben werden in ein Land, in dem Christen um ihr Leben fürchten müssen. Die Mobilisierung der Öffentlichkeit durch Frank Richter und interessierte Medien bis hin zu einer Intervention des katholischen Bischofs Heinrich Timmerevers bewirkten im März dieses Jahres einen vorläufigen Aufschub der Abschiebung.

Der bereits 2010 abgelehnte Asylantrag Faisals führte lediglich zu einer Kettenduldung, die keinen sicheren Aufenthalt in Deutschland bietet. Nach wie vor bleibt der 41-jährige Pakistaner ausreisepflichtig. Er habe Angst und schlafe schlecht, berichtete er sehr ernsthaft in Schneeberg. Seine Frau Carmen müsse viele Aufgaben übernehmen. Heiterer und gelassener wirkt der evangelische Christ Khurram, obschon er bereits den Entzug der Arbeitserlaubnis und die Ausweisung aus einer Wohnung hinnehmen musste. Seit sechs Jahren lebt er in Sachsen. Es war ihm sogar gelungen, bei McDonalds einen Arbeitsvertrag zu erhalten, der aber aus formalistischen Gründen durch die Ausländerbehörden nach zwei Wochen wieder beendet wurde. Er habe Sorge, seinen Freund Faisal einmal in ein Kirchenasyl bringen zu müssen, erklärte er. Über die eigenen Nöte hinaus fühlt er also noch solidarisch.

„Wir können nicht alle pakistanischen Christen in Deutschland aufnehmen. Aber wir können auch nicht zwei, die mit der Todesstrafe rechnen müssen, dorthin abschieben“, kommentierte Frank Richter die beiden Fälle. Er und seine Frau Anette haben inzwischen die Absicht, Faisal und Khurram zu adoptieren. 

Gefahren in der alten und in der neuen Heimat 

Nach der Begrüßung durch Pfarrer Meinel hatte Frank Richter eingangs zum Umgang mit Christen in Pakistan und zum Verhältnis der Religionen allgemein gesprochen. Er selbst war noch nie in Afghanistan oder in Pakistan, das sich in den letzten Jahren islamisch radikalisiert habe. „In kaum einem Land stehen Christen so unter Druck“, bezog sich Richter unter anderem auf Quellen des Katholischen Hilfswerkes Missio. 1992 wurde erstmals ein Christ in Pakistan wegen Blasphemie zum Tode verurteilt. Einer Christin, die aus einem Brunnen getrunken und ihn damit angeblich vergiftet haben sollte, drohte ein ähnliches Schicksal, bis sie 2018 endlich freigesprochen wurde. 2011 war der Minister für religiöse Angelegenheiten ermordet worden, weil er für Toleranz plädierte. 

Für die setzt sich unbeirrt auch Frank Richter ein. „Es muss immer eine Toleranz der Religionen geben“, postulierte er gleich eingangs sehr emotional. Mit radikalen Antworten würden wir unsererseits die europäischen humanistischen Ideale verderben.

Denen und ihren christlichen Wurzeln folgt beispielsweise die Gemeinschaft der Claretiner im Kloster Mühlberg an der Elbe. Unweit fand 1547 die Entscheidungsschlacht im Schmalkaldischen Krieg statt, dem ersten Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten. In Schneeberg berichtete Pater Alois Andelfinger vom heutigen Kirchenasyl im ideal dafür geeigneten Kloster Marienstern. Elf Asylbewerber nutzten es bisher. „Jeder ist eine Bereicherung für uns“, sagte der welterfahrene Pater, der unter anderem auch in Sri Lanka missionierte. Zugleich schilderte er die diskriminierenden und ausbeuterischen Verhältnisse in Asylbewerberunterkünften. „Ich schäme mich für die Deutschen!“ Frank Richter wandte ein, dass er auch auf Ausländerbehörden gestoßen sei, die sich kooperativ und konstruktiv verhalten hätten. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang der rechtliche Status des 

Kirchenasyls. Im bayerischen Kitzingen war die Richterin am Amtsgericht Patricia Finkenberger dafür bekannt geworden, dass sie einen Ordensmann vom Vorwurf der Illegalität eines Kirchenasyls freisprach. 

Recht und/oder Gerechtigkeit 

Dass sich Proteste zumindest gegen die Abschiebepraxis lohnen können, zeigten die abschließenden Nachfragen der Besucher. Eine Diskussion war in der Kirche nicht vorgesehen, vielleicht ein Manko dieser Veranstaltung, dass Kontroversen ausblieben. Den Ausgang bildete die Vermutung eines Gastes, die verschärften Abschiebungen in Sachsen könnten im Zusammenhang mit der Bundestagswahl stehen, um am rechten Rand Stimmen zu fangen. Er sei nicht gegen jede Abschiebung, betonte Frank Richter daraufhin, denn manche seien tatsächlich zu Unrecht hier. Er habe aber den Eindruck, dass man derer nicht habhaft werden kann und so lieber die greifbaren Fälle ausweist. 

Jüngstes spektakuläres Beispiel dafür ist eine neunköpfige, aus Georgien stammende Familie in Pirna. Eine Klage und 20 000 Unterschriften bewirkten ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes in Bautzen, das die Abschiebung für rechtswidrig erklärte. Die Familie musste zurückgeholt werden.

Die Fragerunde mündete daraufhin in Aussagen zum Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit im Umgang mit Asylbewerbern. Pfarrer Meinel hatte das sächsische Innenministerium angeschrieben. „Nur rein juristische Aspekte – aber wo bleibt die Billigkeit?“, rief er aus. Das nackte Recht befriede eine Gesellschaft nicht. Trotz ähnlicher Erfahrungen plädierte Frank Richter nicht für eine grundsätzlich andere Ordnung, wohl aber für eine Beschwörung ihrer Intentionen, ihres ursprünglichen Geistes. Denn Ordnungen werden immer von fehlbaren Menschen umgesetzt. Zuvor schon hatte er auf die Spielräume verwiesen, die jede Gesetzlichkeit bietet. „Gerechtigkeit ist ein zu wichtiges Gut, als dass man sie allein den Juristen überlassen sollte“, lautete sein Fazit. 

Bericht: Michael Bartsch

hier gehts zum Artikel in der Freien Presse vom 8.9.21