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Wie Abschiebungen das Kindeswohl gefährden – Zwei Beispiele aus Sachsen

Die abgeschobenen Kinder der Familie Parleudisze: Vakh, Madiin, Aishat, Maka und Muhamed Foto: privat

Eine Betrachtung von Frank Richter

Die Abschiebung der Familie Imerlishvili hat ungezählte Menschen erschüttert. Mitten in der Nacht, gegen 1.30 Uhr, im Frühsommer des Jahres 2021, umstellen ca. zwanzig sächsische Polizistinnen und Polizisten ein Wohnhaus in der Innenstadt von Pirna. Sie reißen die Imerlishvilis aus dem Schlaf. Sie fordern sie auf, umgehend die Sachen zu packen. Ihr Aufenthalt in Deutschland sei beendet. Noch heute ginge es ab nach Georgien. Der Vater – er ist Altenpfleger mit Festanstellung –; die Mutter – sie arbeitet als Dolmetscherin bei der Caritas –, versuchen ihre Kinder zu beruhigen. Es sind sieben. Die Mehrzahl ist in Deutschland geboren. Sie alle werden abgeschoben. 

Nachdem dieser Vorgang bekannt wird, entwickelt sich in Pirna schnell eine Welle der Empörung. Unter der Überschrift „Bring back our neighbours!“ versammeln sich zehntausende und unterschreiben eine gleich lautende Petition. Als das Oberverwaltungsgericht Bautzen wenige Wochen später die Abschiebung für rechtswidrig erklärt, ist die Freude riesengroß. Die Familie Imerlishvili darf zurückkehren. Der Staat ist verpflichtet, die Rückreise zu organisieren und zu finanzieren. Inzwischen sind alle Familienangehörigen wieder in Pirna. Die Kinder gehen zur Schule. Der Protest von vielen humanitär denkenden, empfindenden und öffentlich protestierenden Mitmenschen hatte Erfolg.

Zur selben Zeit, da die Imerlishvilis abgeschoben wurden, ereignet sich in Meißen – einer ca. 50 Kilometer von Pirna entfernten Stadt – eine ähnliche Tragödie. Die Familie Gaurgashvili / Parleudidze wird gegen 5 Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen. Auch sie stammt aus Georgien. Die Mutter, Marina Gaurgashvili, wird mit ihren fünf Kindern noch am selben Tag, genauer gesagt um 23 Uhr, auf dem Flughafen in Tiflis stehen. Das Land ist ihr inzwischen fremd geworden. Drei ihrer Kinder sind in Deutschland geboren. Niemand wartet auf sie.

Ihr Mann, Zaza Parleudidze, ist zu diesem Zeitpunkt noch in Deutschland. Er musste wegen einer ärztlichen Behandlung zurückbleiben. Als die Polizisten in die Wohnung eingedrungen waren, hatte er sich in seiner Verzweiflung selbst verletzt. Seine Abschiebung erfolgt später. 

Marina Gaurgashvili weiß in dieser Nacht nicht wohin. Ihr fehlt das Geld, um ein Taxi zu bezahlen. Nach langem Warten und vielem Fragen findet sie einen Chauffeur, der bereit ist, sie und ihre Kinder unentgeltlich in ein Dorf zu fahren, in dem Verwandte wohnen. Dort kommen sie unter, vorübergehend, in ärmlichsten Verhältnissen. „Mama schläft nun mit drei meiner Geschwister in einem Bett.“ berichtet Aishat, die älteste Tochter den ehemaligen deutschen Nachbarn am Telefon. Aishat ist dreizehn Jahre alt. 

Familie Gaurgashvili / Parleudidze lebte seit vielen Jahren in Sachsen. Die Eltern bemühten sich um Arbeit. Drei der fünf Kinder gingen zur Schule. Sie lernten fleißig und sprechen gut Deutsch. Das kleinste, Madiin Parleudidze, ist am Tag der Abschiebung 2einhalb Jahre alt. Nach Aussage von Aishat gaben die Polizisten der Familie 25 Minuten Zeit, ihre Sachen zu packen und sich zur Abschiebung vorzubereiten. Die Behörden sprechen von einer Stunde.

Frank Richter, Landtagsabgeordneter aus Meißen, telefonierte in den letzten Wochen und Tagen wiederholt mit Aishat Parleudidze. Er hat einige Gespräche mitgeschnitten. Aishat berichtete ihm, wie sich die deutschen Polizisten verhielten, wie sie ihren Geschwistern Handys und Spardosen wegnahmen und sie in ihren Zimmern einsperrten, als sich der Vater im Badezimmer verletzte. 

Frank Richter hat den Antrag gestellt, die Meißner Familie Parleudidze – ebenso wie die Pirnaer Familie Imerlishvili – nach Deutschland zurück zu holen. Er hält die beschriebene Abschiebepraxis für unmenschlich. Staatliches Handeln traumatisiert Kinder. 

Wo war das Jugendamt? 

Aus Pirna wird berichtet, dass eine bei der Abschiebung beteiligte Polizistin geweint habe.