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Schule in Zeiten von Corona

Überall erleben wir seit Monaten apokalyptisch anmutende Untergangsszenarien. Es scheint, wir wären alle verloren. Erst recht und ganz besonders trifft dies wohl auf Schule, Lernen, Bildung zu. Ab und an spielen auch die Schüler dabei noch ein Rolle – meist als Objekte kritischer Betrachtung.

Die Lehrpläne seien in Gefahr. Die Prüfungen seien in Gefahr. Die Abschlüsse seien in Gefahr. Der vermeintlich exzellente Ruf einer regionalen Schullandschaft stehe auf dem Spiel. Wie könne man nun, unter diesen dramatischen Umständen, noch genügend „Stoff“ vermitteln, um genügend Zensuren zu produzieren, auf deren Grundlage sich dann eine Zeugnis- bzw. Abschlussnote berechnen ließe?

Ganz wichtig ist natürlich in diesem Kontext noch das Thema der Digitalisierung. Nur wenn alle immer im Internet mit halbwegs zeitgemäßer Computertechnik aktiv sein könnten, wäre noch das Schlimmste abzuwenden. Lehrer, welche nicht ständig via Internet kommunizierten und erreichbar seien, versündigten sich an ihren Schülern. Ein guter Lehrer wäre aktuell für viele wohl derjenige, welcher täglich mehrere Schulstunden via Internet übertrüge, virtuell die Schüler beschulte und befähigte – wozu auch immer. Das ganze übrigens absolut klassisch und frontal, wie auch sonst? Konzepte von selbst organisiertem Lernen oder „Lernen lernen“ scheinen inzwischen völlig obsolet. Konnte man sich Wissen eigentlich jemals selbst aneignen? Gab es eine Befähigung hierzu? War dies mal ein anzustrebendes Ideal?

Was aber ist eigentlich Wissen? Was ist Bildung? Was ist unter „guter Bildung“ zu verstehen? Gibt es da einen Konsens? Gilt noch das humanistische Bildungsideal? Welche Bildung/welches Wissen ist unverzichtbar? Woran könnte gespart werden? Was ist gar unwichtig? Gibt es inzwischen allgemein verständliche und akzeptierte Standards oder Kompetenzen?

Manche beginnen von einer verlorenen Generation zu schwadronieren. Geht es vielleicht auch etwas seriöser, etwas weniger prätentiös? Selbst in viel schlimmeren Zeiten des Krieges sind Kinder groß geworden und haben etwas gelernt, manches – vieles gewiss außerhalb der Schule. Es gab damals natürlich keine Computer und kein Internet. Viele haben offenbar so vieles gelernt, gekonnt und richtig gemacht, dass Deutschland sich recht schnell wieder berappeln konnte. Ganz sicher waren diese Zeiten deutlich schwieriger und härter als die Gegenwart. Flächendeckende Dummheit und Nichtbildung bei vielen damaligen Schülern vermag ich nicht zu erkennen. 

Im Schulalltag der letzten Jahre ist oft moniert worden, dass für so viele wichtige Dinge kaum Zeit bliebe. Gegenwärtig hätten wir die Zeit, manchen gar viel zu viel davon. Jetzt könnten beispielsweise Kinder viele gute Bücher lesen. Sehr selten höre und lese ich davon. Es scheint wohl weder wichtig, noch erstrebenswert. Warum ist das so? Muss das so sein? Oder habe ich da gar eine völlig irrige Wahrnehmung? Es könnte eine Generation der Vielleser heranwachsen, wäre das nicht schön? Die Bedingungen hierfür wären gegeben. Viele Lesetipps könnten gegeben werden. Auch ein Lesekanon wäre möglich.

Das Wichtigste aber – was nie vergessen werden darf: In der Schule und beim Lernen muss es um die Schüler, muss es um den Schüler gehen. Um jeden einzelnen Schüler. Auf der Strecke darf möglichst niemand bleiben.

Ich habe den Eindruck, wir können Lernen nur noch mit Zensuren verknüpfen. Fehler erfüllen in  diesem Zusammenhang hauptsächlich den Zweck der Sanktionierung. Kritisch kurz gefasst: In unseren Schulen wird Stoff vermittelt, welcher abgefragt wird, um Zensuren zu produzieren (möglichst in der Gaußschen Glockenkurve), welche sich aus der Anzahl der fabrizierten Fehler scheinbar objektiv ergeben. Spitze ist der Schüler mit den vielen Einsen, welcher dann gar Arzt werden kann. Taugt ein solch antiquiertes Modell von Schule tatsächlich für das 21. Jahrhundert?

Um nicht missverstanden zu werden: Es gab früher großartige Pädagogen, von denen wir immer noch sehr viel lernen können. Erziehung ist Vorbild und Liebe – sonst nichts.“ so formulierte es Johann Heinrich Pestalozzi oder leicht modifiziert „Erziehung ist Beispiel und Liebe, sonst nichts.“ hieß es bei Friedrich Fröbel. Das ist zeitlos. Das hat Bestand. Das sollte weiterhin gelten. 

Diskutieren müssen wir über Sinn und Zweck von Schule. Austauschen müssen wir uns über die anzustrebenden Ziele. Verständigen müssen wir uns über das Menschenbild. Von all dem erlebe ich kaum etwas. Man könnte den Eindruck bekommen, wenn alle einen Laptop und schnelles Internet hätten, brauchten nur noch die Lehrer in der Lage und Willens sein, dies möglichst intensiv zu nutzen und damit wäre dann (fast alles) gut. Welch ein Irrtum. Was für ein Unfug. 

Eltern und Lehrer sollten sich möglichst kameradschaftlich verständigen, wie man in dieser Zeit die Kinder gut begleiten kann. Kinder müssen sich geborgen fühlen und vertrauen können. Das Beste zum Wohle des Kindes muss das erklärte Ideal sein, worum gemeinsam gerungen werden muss. In den Mittelpunkt gehört das Kind – gehören nicht der „Stoff“, der Lehrplan, die Zensuren, die Prüfung, der Abschluss. Das alles ist bestenfalls Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck.

In diesem Sinne wünsche ich uns „Gute Besserung“!

Bernd Mönch, im Februar 2021