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Wofür steht die Sozialdemokratie? Oder: Wofür brauchen wir die Sozialdemokratie?

Das große gesellschaftliche Thema der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft ist die Frage der Gerechtigkeit. Die SPD wurde groß und erfolgreich in einer Zeit, als der gesellschaftliche Wohlstand schnell stieg, allerdings die meisten von denen, welche diesen Wohlstand erarbeitet haben, kaum davon profitierten. Viele der einfachen und hart arbeitenden Menschen sahen die Notwendigkeit einer wirkungsvollen Interessenvertretung. Gemeinsam sind wir stark, dies verstanden und fühlten damals viele. Sozialgesetzgebung und Sozialistenverfolgung – Zuckerbrot und Peitsche – der Aufstieg der Sozialdemokratie schien trotz allem unaufhaltsam.

Das 20. Jahrhundert war u. a. geprägt von harten Kämpfen, Verfolgung und dem Wiedererstarken der Sozialdemokratie. Ausbau des Sozialstaates und Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten am rasch wachsenden gesellschaftlichen Wohlstand waren Markenzeichen sozialdemokratischer Politik. Wohlstand für alle – das wurden Selbstverständnis und Grundbedürfnis sozialdemokratischer Bestrebungen.

Nun am Beginn des 21. Jahrhunderts haben wir es deutlich und wahrnehmbar mit wieder zunehmendem Klassenkampf zu tun: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen“1 – so formulierte es Warren Buffet 2011. 

Die Schwachen und die hart arbeitenden Menschen, jene, welche nicht das Glück hatten von Beruf Erbe oder Privatier zu sein, brauchen starke Interessenvertreter, welchen den Buffets dieser Welt entgegentreten. Die Marktwirtschaft ist prinzipiell unsozial. Soziales musste hart errungen, erkämpft und verteidigt werden. Das wird nun wieder deutlich.

In der Finanzkrise wurden in kürzester Zeit viele Milliarden Euro aufgebracht, um das Finanzsystem zu stützen, um Banken zu retten – oft mit dem Slogan: „Too big to fail“2. Es wurde suggeriert, dies wäre alternativlos. Banken galten als systemrelevant. Kaum thematisiert wurde, was die Banken ursächlich zur Krise beigetragen haben, was sich dringend diesbezüglich ändern müsse. Nur noch selten ist die Rede von besserer und mehr Regulierung des Finanzmarktes. Nur noch selten und viel zu kleinlaut wird über Finanztransaktionssteuer, fragwürdige Konstrukte wie Leerverkäufe, Ungeheuerliches wie Cum/Ex- und Cum/Cum-Geschäfte diskutiert.

Kaum haben wir uns halbwegs erholt von den riesigen Belastungen aus der sogenannten Finanzkrise, erwischt uns nun mit voller Wucht das Corona-Virus. Harte gesellschaftliche Verteilungskämpfe zeichnen sich bereits ab. Riesige Kosten der Pandemie und für entsprechend notwendig erachteter Maßnahmen verlangen schon sehr bald Refinanzierung und das Stellen der Steuerfrage. Nötig wäre ein Corona-Soli, so wie ihn beispielsweise Prof. Butterwegge fordert. Er sieht nur zwei Alternativen: Entweder legt man Hand an den Sozialstaat an oder aber die Politik „bittet die Wohlhabenden, Reichen und Hyperreichen durch Steuererhöhungen zur Kasse.“ 3

Es kann einfach nicht gesellschaftlich tragfähig sein, wenn eine kleine Minderheit stets und ständig reicher wird, ganz egal was sonst passiert. Es kann nicht wünschenswert sein, dass Gewinne beständig privatisiert und Verluste – als wäre es ein Naturgesetz – sozialisiert werden. Es ist nicht richtig und nicht gottgegeben, dass die Gemeinschaft keinerlei Anspruch an exorbitante Vermögen haben dürfe. Wie soll jemand Milliarden „verdient“ haben? Wie soll jemand mehr leisten, als beispielsweise die Krankenschwester im Kinderhospiz? Wie soll es eine Gesellschaft aushalten, wenn junge Leute und Normalverdiener sich das Leben und Wohnen in der Großstadt nicht mehr leisten können? Wie kann es für eine Gesellschaft gut sein, wenn allgemein als ausgemacht gilt, dass niemand durch seiner Hände Arbeit wohlhabend werden könne? Wie wollen wir damit leben und umgehen, dass viele Menschen sich vorm Altwerden fürchten, weil sie dann nicht wissen, ob und wie sie sich ihre Wohnung noch leisten können? 

Wohlstand für alle – das muss gelten. Wir leben in einer sehr reichen Gesellschaft. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass daran alle Menschen Anteil haben sollen. Die Sozialdemokratie muss sich endlich wieder stark machen – vor allem für diejenigen, welche weniger stark sind. Jeder hilft sich selbst, oder rette sich, wer kann – das kann nicht das akzeptierte gesellschaftliche Motto sein. Die Soziale Marktwirtschaft ist kein Selbstläufer. Um das Soziale muss gerungen, muss gekämpft werden – das lehrt uns die Geschichte. Nur die Starken, die Mächtigen, die Reichen können sich einen schwachen Staat leisten. Wir müssen uns stark machen für den „Normalbürger“. 

Gerechtigkeit – das ist das Gebot der Stunde. Mehr Gerechtigkeit für die Geringverdiener, mehr Gerechtigkeit für die Kranken, mehr Gerechtigkeit für die Jungen und für die Alten, mehr Gerechtigkeit für die vielen hart arbeitenden Menschen im Lande, welche kaum über die Runden kommen und sich vor der nächsten größeren Reparatur oder der nächsten Mieterhöhung fürchten. 

Papst Franziskus ruft zu Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit auf. Es gebe keine Ökologie ohne Gerechtigkeit und es gebe keine Gerechtigkeit ohne Ökologie, so das Kirchenoberhaupt. Zwar gelte diese Pflicht für jeden Menschen, jene mit mehr Einfluss seien aber stärker gefordert.

Es müsse eine tatsächliche Bereitschaft geben, die Ursachen des Klimawandels anzupacken, so der Papst. Notwendig ist nach Aussage des Papstes eine tatsächliche Bereitschaft, die Ursachen des Klimawandels anzupacken. Wir müssen heute für ein Morgen aller arbeiten. Die Jungen und die Armen werden uns zur Rechenschaft ziehen, warnte er.4

Alle wichtigen Fragen der Gegenwart und der Zukunft sind elementare Fragen der Gerechtigkeit. Machen wir uns stark für mehr Gerechtigkeit, es ist bitter nötig. Willy Brandt würde heute sagen, wir müssen mehr Gerechtigkeit wagen.

von Bernd Mönch

1  https://beruhmte-zitate.de/zitate/126606-warren-buffett-es-herrscht-klassenkrieg-richtig-aber-es-ist-mei/

2  https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehr-wirtschaft/too-big-to-fail-finanzsystem-laut-bundesbank-stabiler-16836528.html

 https://www.lebenshaus-alb.de/cgi-bin/cms/mt-search.cgi?tag=Christoph%20Butterwegge&blog_id=1

4 https://www.domradio.de/themen/papst-franziskus/2020-09-12/heute-fuer-ein-morgen-aller-arbeiten-papst-ruft-zu-umweltschutz-und-sozialer-gerechtigkeit-auf