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Ein Uhr nachts. Abschiebung einer Familie mit drei Kindern

Foto Quelle: Von aeroprints.com, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32578286

Abschiebung von Familien mit Kindern nach Venezuela

Offener Protest und viele Fragen  

„Herr Innenminister Schuster, stoppen Sie das!“

In letzter Zeit war der Eindruck entstanden, die sächsischen Ausländerbehörden würden es unterlassen, integrierte Familien mit Kindern abzuschieben. Wohlmeinende glaubten, man würde sich bei „aufenthaltsbeendenden Maßnahmen“ auf Straftäter und Gefährder konzentrieren. Das war falsch. Wer es glaubte, wurde am 22. Februar eines „Besseren“ belehrt. 

Am vergangenen Donnerstag, gegen 1 Uhr nachts, wurde die 5köpfige Familie Fuenmayor Bozo von Polizisten aus dem Schlaf gerissen, aus ihrer Wohnung geholt, zum Flughafen gebracht und nach Venezuela abgeschoben. Zur Familie gehörten drei Kinder. Die neunjährige Isabella hatte noch wenige Tagen zuvor eine Kindergruppe zum Erstkommunionunterricht besucht. Die Familie gehörte zur Riesaer Gemeinde St. Barbara auf der Lessingstraße 9. 

Nicht abgeschoben wurden der 80jährige Vater des abgeschobenen Kindesvaters. 

Die Kinder wurden von ihrem Opa getrennt. 

Ebenfalls nicht abgeschoben wurde die Mutter der abgeschobenen Kindesmutter. 

Die Kinder wurden von ihrer Oma getrennt.                                          

Seit dem 22. Februar verbreitet sich unter den in Sachsen lebenden Venezolanern Angst. Sie fürchten, zusammen mit ihren Kindern und Familienangehörigen jederzeit, das heißt auch mitten in der Nacht, abgeholt und abgeschoben werden. „Jederzeit und mitten in der Nacht“ – das bedeutet immer. Immer in Angst. 

Ich fordere den Innenminister des Freistaates Sachsen auf, die Abschiebung von Familien mit Kindern auszusetzen und sich auf Straftäter zu konzentrieren. 

„Dies zu tun, liegt in Ihrer Macht. Stoppen Sie die Abschiebung von Menschen, die in Gesellschaft, Kirche, Kita, Schule und Arbeitsmarkt integriert sind, die unserer alternden Gesellschaft guttun und die von der Wirtschaft gebraucht werden. Ich erinnere Sie an Ihre Worte vom Februar 2023. Im Rahmen einer Veranstaltung in Augustusburg verkündeten Sie ein ‚sächsisches Chancenaufenthaltsrecht‘, wonach integrierte, nicht straffällige und arbeitende Asylsuchende über den Paragraf 25b AufenthG bleiben dürfen. Bitte entschuldigen Sie sich nicht mit dem Hinweis auf die Bundespolitik. Sie legten als sächsischer Innenminister bisher immer größten Wert auf eigene sächsische Wege, Entscheidungen und Initiativen.“ 

Zum Hintergrund: 

Zahlreiche Flüchtlinge, die aus dem südamerikanischen Land nach Deutschland geflohen sind, wurden dem Freistaat Sachsen zugeteilt. Sie leben zum Teil seit Jahren hier und haben sich gut integriert. Viele Erwachsene gehen einer Arbeit nach und werden gebraucht. Ministerpräsident Kretschmer lobte öffentlich eine Pirnaer Firma, die Flüchtlinge aus Venezuela beschäftigt, den Arbeitskräftemangel kompensiert und effektiv zur Integration der Venezolaner beiträgt. Die Kinder der Schutzsuchenden gehen in der Regel in die Kita bzw. in die Schule und sprechen gut Deutsch. 

Das Leben in Venezuela ähnelt dem Leben in der DDR. Es herrscht ein diktatorisches Regime, das die Menschenrechte mit Füßen tritt. Angst vor Willkür, Armut und politische Unterdrückung prägen den Alltag. Wer das Regime in der DDR erlebt hat, kann gut verstehen, warum Menschen aus Venezuela fliehen.

Die Venezolaner sind traditionell katholisch. Viele von ihnen sehnen sich nach einem religiösen Zuhause und nach menschlicher Nähe. Dieser verständliche Wunsch kann und sollte ihnen von den Gemeinden hierzulande erfüllt werden. 

Es entspricht einer Jahrtausendealten Gepflogenheit, dass Christen verfolgte Glaubensgeschwister in Schutz nehmen. Wenn Christen das auch heutzutage tun, tun sie es nicht aus Gründen konfessioneller Bevorzugung. Vor Gott ist jeder Mensch gleich viel wert. Sie tun es, um ein unmissverständliches Zeichen gegen eine inhumane Abschiebepraxis zu setzen. Andersgläubige werden aus der Solidarität nicht ausgenommen. Gleichwohl ist der gemeinsame Glaube eine Brücke, eine Brücke der Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit. 

Ich empfehle allen, die sich aufgrund ihres Glaubens für Flüchtlinge engagieren, an Innenminister Schuster zu schreiben und gegen die Abschiebung von Eltern mit ihren Kindern und gegen die Trennung von Familien öffentlich zu protestieren. Armin Schuster sagt von sich selbst, ein bekennender Christ zu sein.  

Gewiss, der Staat ist verpflichtet, dem Recht und dem Gesetz Geltung zu verschaffen. Das gilt auch für Ausreisepflichtige. Wenn der Staat aber, wie das jüngste Beispiel der abgeschobenen Familie beweist, mit staatlicher Gewalt gegen Kinder und integrationswillige Familien vorgeht, verliert er an Zustimmung und Vertrauen. 

Am 18. Juli 2023 berichtete die Sächsische Zeitung vom Besuch des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer bei der Firma „Fahrzeugelektronik Pirna“. Diese beschäftigt 24 Mitarbeiter und einen Azubi aus Venezuela und kompensiert damit den eklatanten Fach- und Arbeitskräftemangel. Im Bericht der Zeitung heißt es: „Der Ministerpräsident lobte das Pirnaer Projekt, dass in diesem Fall sehr dem eigenen Tun zu verdanken ist. ‚Wenn sich das herumspricht, haben vielleicht andere Betriebe ähnliche Ideen‘, sagte der Ministerpräsident. Er will sich unterdessen dafür einsetzen, dass Asylbewerber, die hier eine feste Arbeit haben und bleiben wollen, auch bleiben dürfen.“ 

Folgende Fragen stehen im Raum. Der Innenminister sollte sie beantworten. 

(1)

Warum kam es zur Abschiebung der Familie Fuenmayor Bozo um 1 Uhr, also mitten in der Nacht?  Der sächsische Rückführungsleitfaden bestimmt, Abschiebungen grundsätzlich zur Tagzeit durchzuführen. Die Nachtzeit liegt nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zwischen 21 Uhr abends und 6 Uhr morgens. 

(2)

Wurde das von der Mutter vorgelegte Attest über die medizinisch indizierte Fortsetzung einer vor zwei Jahren begonnenen medikamentösen, intravenösen und psychotherapeutischen Behandlung von den Polizisten ignoriert? Warum wurde kein Arzt hinzugezogen? 

Der Rückführungsleitfaden bestimmt, dass bei Vorlage eines qualifizierten Attestes bzw. bei bestehenden Anhaltspunkten für eine schwerwiegende Erkrankung ein Arzt zu konsultieren ist, der über die Reisetauglichkeit entscheidet. Laut Rückführungsleitfaden steht das Risiko, einer wesentlichen oder lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch die Abschiebung der Reisetauglichkeit entgegen. 

(3)

Wurde im Vorfeld der Abschiebung geprüft und berücksichtigt, was die Familie in Venezuela erwartet? Um Schutz in Deutschland zu suchen, hatte sie vor der Flucht ihr Haus und weiteres Hab und Gut verkauft. Infolge der Abschiebung droht ihr die Obdachlosigkeit. 

(4)

Welche Person wurde während der Abschiebung beauftragt, sich „ausschließlich um die Belange der anwesenden Kinder“ zu kümmern, wie es der der Rückführungsleitfaden bestimmt? Was hat die beauftragte Person konkret getan, um die Traumatisierung der Kinder zu verhindern? In Deutschland gilt die Internationale Kinderrechtskonvention seit 2010 als Bundesgesetz. 

(5) 

Hat die zuständige Ausländerbehörde ihre Beratungspflicht erfüllt und die Eltern Fuenmayor Bozo auf die Möglichkeit der Anrufung der Sächsischen Härtefallkommission hingewiesen?

(6)  

Zwei Tage vor der Abschiebung der Familie Fuenmayor Bozo, am 20. Februar 2024, haben sich Vereine venezolanischer Flüchtlinge in einem offenen Brief vertrauensvoll an Innenminister Schuster gewendet. Warum blieb ihr Hilferuf unerhört? Wie lautet die Antwort des Ministers auf diesen Brief? 

Im Brief der venezolanischen Vereine heißt es unter anderem: 

Mit diesem Schreiben möchten wir unsere tiefe Besorgnis über die Abschiebung venezolanischer Staatsangehöriger … zum Ausdruck bringen. Abgeschobene sowie Rückkehrende aus anderen europäischen Ländern wurden in Venezuela mehrfach Opfer willkürlicher Behandlungen durch Beamtinnen und Beamte des autoritären Regimes von Nicolás Maduro. So wurden im November rund 200 venezolanische Passagiere eines Rückkehrfluges aus Island am Flughafen Caracas über Stunden hinweg von Sicherheitskräften festgehalten und aufgefordert, Blankodokumente zu unterschreiben, in denen sie des ‚Vaterlandsverrats‘ beschuldigt werden. 

Vorfälle wie diese demonstrieren wiederholt, dass unser Herkunftsland nicht sicher ist und auch in der Vergangenheit für keinen seiner Bürger sicher gewesen ist. Abschiebungen und andere Formen erzwungener Rückkehr nach Venezuela stellen ein hohes Risiko für die körperliche und geistige Unversehrtheit der Betroffenen und ihrer Familienangehörigen dar, da sie Repressionen, physischer Gewalt, Schikanen und der Verletzung ihrer Menschen- und Bürgerrechte ausgesetzt sind. 

In Venezuela herrscht weiterhin ein komplexer und vielschichtiger humanitärer Notstand mit systematischen und massiven Menschenrechtsverletzungen. Es ist allgemein bekannt, dass das venezolanische Regime keine verfassungsmäßigen Garantien, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung oder faire Verfahren bietet.“

Frank Richter, Mitglied des Landtags (SPD-Fraktion) 

Presseecho

Sächsische Zeitung

Evangelische Zeitung

Leipziger Internetzeitung

Von Abschiebung sind noch weitere Menschen aus Venezuela bedroht.

hier ein Artikel über eine Löbauer Familie