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Verdient Sigmund Jähn eine Würdigung?

Foto / Quelle: Wikipedia / TU Berlin

Zunächst einmal fallen mir viele Menschen ein, welche gewürdigt werden, bei denen es gute Gründe gäbe, sich das mindestens zweimal gut zu überlegen. Einige wenige relativ wahllos herausgegriffene Beispiele mögen dies kurz illustrieren: 

1.) Hanns Martin Schleyer: ehemals glühender Nazi, SS-Offizier und nach belastbarer Aussage des Saarbrücker Historikers E. Später „führendes Mitglied der deutschen Vernichtungselite in Prag“, enger Mitarbeiter R. Heydrichs. Schleyer war unter Heydrich für die »Arisierung« der tschechischen Wirtschaft und die Beschaffung von Zwangsarbeitern zuständig. Der später Entführte und Ermordete, nach eigenen Worten »alter Nationalsozialist und SS-Führer«, hatte in der besetzten Tschechoslowakei an leitender Stelle im Zentralverband der Industrie gewirkt, der unter anderem für Arisierungen und die Rekrutierung von Zwangsarbeitern zuständig war. Rechtlich zur Verantwortung gezogen wurde er dafür nie.

Geehrt wird er wohl als Arbeitgeberpräsident, als deutscher Manager, welcher von der RAF ermordet worden ist. Dieses tragische Ende als Opfer eines Gewalterbrechens genügt wohl zur Ehrung. Die gleichsam ermordeten drei begleitenden Polizisten und seinen Fahrer kennt kaum noch jemand.

2.) Hans Globke: Träger des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, Adenauers rechte Hand und mächtiger Chef des Bundeskanzleramtes, politisch einflussreicher Strippenzieher und nachhaltig Einfluss ausübend auf wichtige Personalentscheidungen in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik. Globkes Porträt hängt bis heute unkommentiert im Kanzleramt (Stand 2019, laut t-online; Ende 2020 nach Aussage des Regierungssprechers unveränderter Sachstand). Globke war ein Schreibtischtäter des „Dritten Reichs“. Der Jurist im Verwaltungsdienst hatte unter anderem einen folgenschweren Kommentar zu den „Nürnberger Rassegesetzen“ von 1935 mitverfasst, einen der zentralen Bausteine einer vermeintlichen juristischen Rechtfertigung der Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus. 

3.) Da es sich bei Sigmund Jähn um einen General(-Major) der NVA handelte betrachten wir einmal stellvertretend einige ranghohe Generäle der Bundesrepublik: Heusinger, Speidel, Foertsch, Trettner.

Bis Mitte der 80er Jahre hatten fast alle westdeutschen Generäle und Admiräle schon der Wehrmacht gedient. Die übergroße personelle Kontinuität war unbestreitbar und hatte ein völlig anderes quantitatives wie qualitatives Niveau als in der DDR. Es war absolut üblich, dass man sich in der Bundeswehr in Tradition der Wehrmacht stellte. Üble und inzwischen berüchtigte  Traditionskabinette, Soldatenliederbücher, Kasernennamen u.a.m. zeugten davon. Über kaum einen der genannten Generäle könnte man ernsthaft behaupten, er hätte nichts mit dem erbarmungslos geführten Feldzug vor allem und besonders im Osten zu tun, von Beginn an konzipiert und geführt als ideologischer Weltanschauungs- und rassebiologischer Vernichtungskrieg. Im Vordergrund standen die Eroberung von „Lebensraum“ sowie die wirtschaftliche Ausbeutung der eroberten Gebiete und der dort lebenden Menschen als Zwangsarbeiter. Die Ermordung der jüdischen Bevölkerung und der sowjetischen Führungsschicht war von Anfang an vorgesehen. Zudem ordnete der „Kommissarbefehl“ vom 6. Juni 1941 die sofortige Liquidierung von gefangenen kommunistischen Kommissaren der Roten Armee an. 

Ich möchte nun zu Sigmund Jähn kommen. Er gehört kaum in eine Reihung solcher Leute, wie ich sie hier stellvertretend und beispielhaft aufgeführt habe. Der MDR zeigte am 28.12.2020 eine 90minütige Dokumentation in der Reihe „Winter der Legenden“ unter dem Titel „Sigmund Jähn – ein Vogtländer im Weltall“. Es ist ein Film von Nicola Graef und Florian Huber. Da Sigmund Jähn völlig überraschend während der Produktion des Films verstarb, ist diese Dokumentation über das Leben und Wirken Sigmund Jähns so auch zu einem Vermächtnis geworden. Der Protagonist begegnet uns  als äußerst sympathisch und bescheiden. Ein Mensch, welcher offenbar immer auf dem Boden geblieben ist – zumindest was seinen Charakter anbelangt. Ein Mensch, welcher mit lieben Worten und warmem Herzen davon spricht, dass er alles was er geworden ist, maßgeblich auch anderen Menschen zu verdanken habe, was er offensichtlich niemals vergessen hat. 

Er habe sich nie mit dem Gedanken befasst, einmal ein Volksheld zu sein, so Jähn. Nie wurde aus ihm ein abgehobener Star und später auch kein frustrierter Wendeverlierer. Er blieb der bescheidene Junge aus den Wäldern des Vogtlandes. Davon berichten Wegbegleiter wie sein ältester Schulfreund, sein Kosmonautenkamerad Eberhard Köllner und der westdeutsche Weltallpionier Ulf Merbold, ebenfalls ein Vogtländer und Freund. Sie erzählen in sehr persönlichen Aussagen von seiner Liebe zu Heimat und Natur, seinem unerschütterlichen Charakter, aber auch von seiner Zurückstellung des Privaten hinter die Pflichten des DDR-Staatsdieners. 

Der Film endet mit der Trauerfeier in Jähns vogtländischem Heimatort, wo Freunde und Familie Abschied nehmen. Unter ihnen ist der Star der europäischen Raumfahrt Alexander Gerst: „Ich wünsch Dir eine gute Reise, mein Freund, und immer eine weiche Landung!“ Alle noch lebenden deutschen Raumfahrer (Kosmonauten und Astronauten) waren gekommen, um ihm ihre letzte Ehre zu erweisen. Dies hatte er sich offensichtlich in ihren Augen verdient.

In Halle ist man mehrheitlich im Stadtrat anderer Meinung. Wer maßt sich an, festzulegen, dass jemand wie Sigmund Jähn nicht geehrt werden brauche oder gar dürfe? Was verleiht ihnen denn die Chuzpe, auf einen Sigmund Jähn herabzuschauen. Ich bekenne mich zu diesem stillen und bescheidenen Helden. Es ist in meinen Augen nicht verwerflich, dass er in der SED und Generalmajor der NVA war. Ich vermag das Böse und Schlechte an ihm nicht zu erkennen. Er war ein mutiger und um das Wohl der Menschheit und die Zukunft des Erdballs besorgter Weltraumfahrer (Kosmonaut!). Alle, welche mit ihm zu tun hatten, auch und gerade westdeutsch sozialisierte Raumfahrer nach 1990 schwärmen regelrecht von diesem großartigen und selbstlosen Freund, Helfer, Unterstützer und Türöffner u.a. im Weltraumstädtchen Baikonur.

In Halle meint nun eine Mehrheit der gewählten Volksvertreter (CDU, AfD, Grüne), ein solcher Mann wäre nicht der  Ehrung wert. Wir sollten ihn wohl besser vergessen. Er tauge nicht des ehrenden Erinnerns. Das sehe ich aber ganz anders als diese „verehrten“ Herrschaften. Vermutlich bin ich mit meiner Ansicht nicht ganz allein. Wann endlich ist Schluss damit, dass man sich seiner ostdeutschen Herkunft schämen soll? Wann hört es endlich auf, dass man der gemeingefährlichen Ostalgie beschuldigt oder zumindest verdächtigt wird, wenn man Menschen wie Sigmund Jähn und Täve Schur als honorig und das Ehrens wert erachtet!?

Sigmund Jähn verdient es, dass man sich seiner positiv erinnert und ihn würdigt.

Bernd Mönch, im März 2021