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„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“

Abbildung: Die Briefmarke wurde von der Deutschen Post (der DDR) 1957 herausgegeben und zeigt das Gemälde „Der Zinsgroschen“ von Tizian.

Sachsen in guter Verfassung? 

Eine Betrachtung zum Tag des Grundgesetzes 2020 

Die Freiheit zu glauben, was man für glaubwürdig hält, die Freiheit, seinen Glauben zu revidieren und die Konfession zu wechseln, und die Freiheit, an gar nichts zu glauben und auf jegliche religiöse Bindung zu verzichten, scheinen uns zu den selbstverständlichsten Selbstverständlichkeiten zu gehören. Die allermeisten in Sachsen lebenden Menschen gehören weder einer Kirche noch einer anderen Religionsgemeinschaft an. Ihnen erwachsen daraus keine Nachteile. All jene, die sich religiös und kirchlich engagieren, genießen allein deswegen keine staatlichen Vorteile. Sollte es dennoch zu entsprechenden Benachteiligungen oder Bevorzugungen kommen, können diese angezeigt und gerichtlich verhandelt werden. „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Der Artikel 4 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gilt. Dass im Zusammenhang der Pandemie-Bekämpfung öffentliche Gottesdienste untersagt, später die Zahl der Besucher begrenzt und strenge Regeln für das gemeinschaftliche Feiern erlassen wurden, dürfte zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik vorgekommen sein. Die Verantwortlichen im Staat – von Sachsen kann ich das mit Bestimmtheit sagen – waren sich der Außergewöhnlichkeit ihrer Entscheidungen bewusst. Darum haben sie sich mit den hochrangigsten Vertretern der wichtigsten Religionsgemeinschaften abgestimmt. Ich mache keinen Hehl aus meiner Kritik, dass der Ministerpräsident neben den Bischöfen der Kirchen und einem Rabbiner nicht auch einen Vertreter einer Moschee-Gemeinde öffentlich empfangen hat. Ich füge hinzu, dass dies nicht dazu geführt hat, dass sich die sächsischen Muslime ausgegrenzt fühlten. Jedenfalls nicht deswegen. Auch dass Gerichte in der Zwischenzeit gegen einige Einschränkungen der freien Religionsausübung geurteilt haben, belegt die Funktionstüchtigkeit unseres Rechtsstaates. Die ungestörte Ausübung der Religiosität ist gesichert. Die beschriebene Ausnahme bestätigt die Regel.

Ich bin 1960 geboren und in der DDR aufgewachsen. Als gläubiger Katholik und Gegner einer auf militärische Aufrüstung setzenden Außenpolitik verweigerte ich den Wehrdienst und wurde ersatzweise für 18 Monate als so genannter „Bausoldat“ eingezogen. Eine Bibel hatte ich stets bei mir. Sie gehört noch heute zu meinen treuesten Wegbegleitern. Als dieses Buch eines Tages vom Kompaniechef bei einer Kontrolle meines Spinds – so nannte man beim Militär die kleinen Schränke für die persönlichen Sachen – entdeckt wurde, entzog er mir dieses. Die Bibel habe in einer sozialistischen Kaserne nichts zu suchen, so meinte er. Staat und Kirche seien getrennt. Während dem sich anschließenden Verhör in seinem Büro verwies ich ihn auf einen Satz aus der Bibel: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ – so hat Jesus Christus formuliert, nachzulesen im Matthäusevangelium im 22. Kapitel. Ich erklärte ihm, dass die von ihm postulierte Trennung von Staat und Kirche christlich begründet ist, dass die Kirchen diese Trennung ihrerseits zwar allzu oft verraten hätten, dass diese Trennung historisch gegen die Kirchen zurück erobert werden musste, dass sie aber niemals ganz vergessen worden sei und dass sie eine ihrer Wurzeln in der Bibel hätte, in eben jenem Buch, dass er mir mit dem Hinweis auf diesen Grundsatz soeben entwendet habe. Es schien, als hätte ich ihn intellektuell überfordert. Mein zusätzlicher Hinweis allerdings, dass das Gemälde „Der Zinsgroschen“, gemalt von einem berühmten Venezianer namens Tizian die Szene illustriert, in der Jesus diesen Ausspruch tätigte, dass er dieses Gemälde in der Dresdner Galerie „Alte Meister“ bewundern könnte und die Deutsche Post der DDR diesem Gemälde eine Sondermarke gewidmet hätte, überzeugte ihn, das Gespräch mit mir zu beenden und mir meine Bibel zurück zu geben. 

Die Religion ist ein Refugium des freien Geistes, dessen Wert in den Zeiten äußerer Repression und zwanghafter Ordnung besonders deutlich hervortritt. Der Ausspruch „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ impliziert eine Grenze, die jede staatliche Ordnung – gleich, ob es sich um eine legitime oder eine illegitime handelt – zu respektieren hat. Die Personalität eines jeden Menschen birgt etwas Unverfügbares, das sich dem Zugang anderer, auch dem Zugang des Staates entzieht. In der Religion hat dieses unverfügbar Menschliche eine Heimat. Deshalb hat ein menschengerechter Staat die freie Religionsausübung zu respektieren und zu schützen. 

Natürlich trifft dieser Zusammenhang keineswegs nur auf die Religion zu. Ähnliches könnte über die Künste gesagt werden, deren Freiheit im Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschrieben ist.

So wichtig unsere demokratisch legitimierte staatliche Ordnung auch ist – ich füge gern hinzu: Es ist die beste Ordnung, die Deutschland jemals hatte – so sehr muss sie ihre Grenzen kennen. Die Freiheit der Religion und der Kunst markieren solche Grenzen. 

Was freilich auch heißt, dass Kunst und Religion ihre Freiheiten verantwortlich gebrauchen und nicht zum willkürlichen Missbrauch gegen andere missbrauchen dürfen… 

Aber das wäre ein neues Kapitel! 

Frank Richter