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„Wir dürfen nicht wieder Akteur werden!“

Foto: Michael Bartsch

Betroffene und hochkompetente Afghanistan-Diskussion des „Radebeuler Couragepreis e.V.“ in der Radebeuler Friedenskirche 

Es war eine Diskussion in einer Kirche, der Friedenskirche in Radebeul und es wurde am Schluss auch ein brasilianisches Danklied an den lebensspendenden Herrn gesungen. Aber es blieb beim brutalen Thema Afghanistan nicht bei Fürbitten und einem frommen Lamento. Nüchterne, ernüchternde Fakten dominierten. Vor allem der ehemalige Bundeswehroberst Jean Lacroix und der Publizist Andreas Zumach brillierten mit Kompetenz und einer Kenntnis der Zusammenhänge, wie man sie in diesen Tagen des kollektiven abendländischen Erschreckens medial oft vermisst. Zugleich konstatierte Frank Richter in seinen Schlussworten eine „Nachdenklichkeit, wie ich sie selten erlebt habe“. Starke Betroffenheit war ebenfalls spürbar, könnte man hinzufügen.

Foto: Michael Bartsch

Einen irgendwie westlich gearteten Frieden wollte vor 20 Jahren die nunmehr gescheiterte Intervention nach Afghanistan bringen. Und zugleich den inneren Frieden westlicher Zivilisationen vor Terror schützen. Der Verein „Radebeuler Couragepreis“, dessen Vorsitzender Frank Richter ist, erinnert mit seiner aller zwei Jahre am 27.August stattfindenden Preisverleihung auch an einen Friedensschluss. An diesem Tag im Jahre 1645 wurde im Pfarrhaus von Kötzschenbroda, heute Teil Radebeuls, ein Waffenstillstandsvertrag zwischen Sachsen und Schweden unterzeichnet. Er bereitete dem Westfälischen Frieden den Weg, mit dem drei Jahre später der Dreißigjährige Krieg beendet wurde. 

Die Radebeuler Preisverleihung ist erst im kommenden Jahr wieder fällig. Das Datum aber nahm Frank Richter zum aktuellen Anlass, über ein aufgewühltes Land zu reden, dessen Bevölkerung seit rund viereinhalb Jahrzehnten keinen Frieden mehr erlebt hat und das seit seiner Gründung als ein Pufferstaat im 19. Jahrhundert von Stammesauseinandersetzungen und fremden Machtinteressen heimgesucht wird. Schon die Briten mussten damals erleben, dass klassisch-militärische Siege in der bergigen Region nicht zu erringen sind. Fontanes berühmtes Gedicht von 1857, das Richter am Ende vortrug, erinnert daran.

Foto: Michael Bartsch

Der Krieg war das falsche Mittel

Wie wird das aktuelle Scheitern kommentiert und lernt die Welt etwas daraus? Die vier Podiumsgäste hatten zunächst Gelegenheit zu eigenen Statements – vom Ambo im Altarraum aus. „Frieden als Wert“, war die Einladung übertitelt. Der evangelische Landesbischof Tobias Bilz stellte denn auch eingangs die Frage nach der Unverletzlichkeit von staatlichen Grenzen und nach dem Recht auf deren Überschreitung in Ausnahmefällen. Die UNO hat 2001 und 2005 dafür Kriterien formuliert, Völkermord, ethnische Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit etwa. Was normativ noch begründbar erscheint, wird aber durch praktische Erfahrungen mit Interventionen stark relativiert. „In vielen Fällen funktioniert das Prinzip der Schutzverantwortung nicht“, stellte Bilz fest. Allein schon die Dynamik von Gewaltanwendung hebt mögliche Rechtfertigungen auf. Schon in der apokalyptischen Offenbarung des Johannes wird bedrohlich „der Engel des Todes losgelassen“. 

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Eine Formulierung des Landesbischofs zog sich dann durch die gesamte zweistündige Diskussion. Frieden stiften könne nur, wer keine eigenen Interessen dabei vertrete! Ein Satz, der auch den mittlerweile pensionierten Oberst Jean Lacroix ein wenig in Verlegenheit brachte. Er gehörte 2002 zu den ersten deutschen Soldaten in Afghanistan und blieb vier Jahre. Seine Schilderungen der Zustände damals nach dem Bürgerkrieg ließen niemanden kalt. Sein ehrlich bekanntes Unbehagen von Anfang an aber auch nicht. Vielen sei nicht klar gewesen, was eine fremde Kultur bedeute. Und etwas schien trotz guter Absichten nicht zu funktionieren. „Viele Leute, auch Afghanen, wollten das Richtige, haben es aber nicht richtig gemacht“.

Als ein brillanter Kenner der Weltpolitik erwies sich Andreas Zumach, unter anderem UNO-Berichterstatter für die taz. Auch die UNO-Resolution einen Tag nach dem 11. September 2001 habe „keine saubere völkerrechtliche Grundlage“ für die Intervention geboten. Damalige Gegner von PDS, Grünen und Teilen der SPD seien „ausgebuht und niedergebrüllt“ worden. „Der Krieg war das falsche Mittel“, stellte Zumach fest, zumal dann, wenn man fragwürdige Bündnisse mit Warlords einging. Solange man die „Drogenökonomie“ nicht angehe, die das Land fest im Griff hat, seien strukturelle Erfolge auch nicht zu erwarten. 

Die bescheidenen, meist auf den Norden beschränkten Erfolge der ersten Jahre seien „aufgebauscht und beschönigt worden“, meinte Zumach. Zuletzt habe der hochtechnisierte und anonymisierte Drohnenkrieg den Westen verhasst gemacht. Er hoffe auf eine Aufarbeitung der „Katastrophe“ und auf eine Warnung, vergleichbare aussichtslose Einsätze der Bundeswehr in Mali betreffend. Mehr als Hoffnung auf die Heranbildung selbständigen Denkens und einen Aufarbeitungsdiskurs konnte auch Matthias Bellmann vom Ökumenischen Informationszentrum Dresden nicht beisteuern.

Foto: Michael Bartsch

Nichts ist gut in Afghanistan

Die anschließende Diskussion im Podium war von dem Gedanken beherrscht, dass der Armeeeinsatz nicht das richtige Mittel war oder zumindest das Militär allein keinen Frieden schaffen kann. Umso weniger, wenn 95 Prozent der eingesetzten Geldmittel in die Kriegskasse und nur der Rest in zivile Projekte flossen. Blieb die Kirche, die Kirchen in diesen zwanzig Jahren zu leise? Erstaunlich lebendig auch bei den etwa 120 Hörern im Kirchenschiff hält sich die Kritik der damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Bischöfin Margot Käßmann in ihrer Neujahrspredigt 2001. „Nichts ist gut in Afghanistan“, bleibt als Kernsatz in Erinnerung, auch ihre alarmierenden Vergleiche zwischen militärischen, also auch tödlichen Einsätzen und solchen gegen Armut und Menschenrechtsverletzungen. Sachsens Landesbischof Tobias Bilz wollte dennoch bei seinem Fazit nicht alle Bemühungen verurteilen, blieb aber sehr skeptisch: „Ich bin mir nicht sicher, ob aus diesem Desaster noch etwas Gutes wachsen kann!“

Foto: Michael Bartsch

„Kann man solche Kriege überhaupt gewinnen“, stellte der erfahrene und überzeugende Oberst Lacroix eine Grundsatzfrage. Statt Modernisierung habe man Angst ausgelöst. Korrupte Kommandeure der Armee und die Zentralregierung seien außerdem ein Problem gewesen. Und selbstverständlich seien auswärtige Interessen im Spiel gewesen, hieß es dann auch nach Fragen des Auditoriums. Andreas Zumach erinnerte anschaulich daran, dass die US-Amerikaner den Islamismus gegen die Sowjetunion und später auch die Taliban in Pakistan erst herangezüchtet und ausgestattet hatten. Es ging und geht bis heute um das Projekt einer Gaspipeline durch Afghanistan, woran heute China wieder sehr interessiert ist. Begehrlichkeiten gibt es auch aus dem Iran und Saudi-Arabien.

Foto: Michael Bartsch

Nach aktuellen Handlungsempfehlungen befragt, verbreiteten Zumach und Lacroix wenig Optimismus. Afghanistan werde kaum inneren Frieden finden, denn „die jungen Kämpfer können nichts anderes als Kalaschnikow“. „Aber wir dürfen nicht wieder Akteur werden“, warnte Lacroix. Andreas Zumach forderte die uneingeschränkte Aufnahme von Flüchtlingen und erhielt Beifall des ausgesprochen interessierten und engagierten Publikums. Auch die Hilfsorganisationen müssten weiter unterstützt werden, widersprach er Außenminister Maas. Noch lange nach Schluss der von MDR-Redakteur Tim Deisinger klug und herausfordernd moderierten Diskussion standen Gruppen im Kirchenraum zusammen.

Michael Bartsch

28.08.2021

hier gehts zum Artikel in der Sächsischen Zeitung online (hinter der Bezahlschranke)

„Frieden als Wert“ – 20 Jahre deutsche Soldaten im Krieg in Afghanistan